Studien zur Archäologie des Ostseeraumes. Von der Eisenzeit bis zum Mittelalter. Festschrift für Michael Müller-Wille

Anke Wesse (Hrsg.): Studien zur Archäologie des Ostseeraumes. Von der Eisenzeit bis zum Mittelalter. Festschrift für Michael Müller-Wille […], in: Geldgeschichtliche Nachrichten 35 (2000) 198, p. 235.

Review

Es ist selten, daß Wissenschaftler anderer historischer Disziplinen in ihrer Forschung die Numismatik gebührend berücksichtigen. Eine der wenigen Ausnahmen stellt Michael Müller-Wille dar, Professor für Ur- und Frühgeschichte in Kiel. Er hat u.a. die methodisch neuartige Dissertation Ralf Wiechmanns (Edelmetalldepots der Wikingerzeit in Schleswig-Holstein, 1994) mit betreut. Die nun zum 60. Geburtstag von Michael Müller-Wille erschienene Festschrift enthält 64 Aufsätze, von denen einige auch den Numismatiker interessieren dürften.

Birgitta Hårdh (Glemminge und Grimmen. Zwei Hacksilberfunde nördlich und südlich der Ostsee, S. 331-336, davon 2 Tafeln) vergleicht einen südskandinavischen mit einem westslawischen Hacksilberfund, die beide um das Jahr 1000 datieren. So kann sie besonders enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen beiden Regionen aufzeigen und außerdem gleichartige Wirtschaftsverhältnisse nördlich und südlich der Ostsee wahrscheinlich machen.

Nachdem die Ausgrabungen in Novgorod bereits in früheren Jahren drei Edelmetalldepots erbracht hatten, können Valentin L. Janin und Petr G. Gajdukov (Ein Schatzfund aus Novgorod mit westeuropäischen und byzantinischen Münzen, S. 345-357, davon 6 Tafeln) einen vierten Fund vorstellen, der als einziger westeuropäische, aber keine islamischen Münzen enthält. 30 der 59 Gepräge stammen aus deutschen Prägestätten. Sie wurden mit Hilfe von Peter Ilisch bestimmt. Ihr terminus post quem von etwa 1020 stimmt mit dem der angelsächsischen Stücke (1023) recht gut überein. Alle Münzen sind auf ihren Feingehalt untersucht, wodurch vier Nachahmungen englischer und deutscher Münzen herausgestellt werden können. Zu Einzelfunden westeuropäischer Münzen ist über die in dem Beitrag angegebene Literatur hinaus noch ein Aufsatz V.M. Potins (Numismatische Chronologie und Dendrochronologie im Lichte der Novgoroder Ausgrabungen, HBN 27/29, 1973/75 [1982], S. 53-66, Tafel 6) zu vergleichen.

Ralf Wiechmann (Souvenirs aus England? Zwei northumbrische „Stycas“ gefunden in Schleswig-Holstein, S. 453-460, davon 1 Tafel) schließlich stellt zwei Stycas vor, die in den 1980er Jahren in Schleswig-Holstein als Siedlungsfunde ans Tageslicht kamen. Sie gehören zu den äußerst seltenen Funden außerhalb der Britischen Inseln und werden vor ihrem historischen Hintergrund vorgestellt. Als Kupferstücke passen die Stycas nicht in die silberbasierte Gewichtsgeldwirtschaft Schleswig-Holsteins und werden von Wiechmann daher als Souvenirs bezeichnet.

Außer diesen rein numismatischen Untersuchungen berühren mehrere weitere Darstellungen die Geldgeschichte und sind von allgemeinem methodischem Interesse. Zum einen ist Petr P. Toločko (Die Rolle der Handels- und Handwerkszentren des 9. Jahrhunderts bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts bei der Entstehung der altrussischen Städte, S. 213-217) zu nennen, der sich mit dem Problem von Kontinuität und Diskontinuität zwischen Handelssiedlungen und Städten des Mittelalters beschäftigt. Sehr anregend zu lesen ist zum anderen auch Inga Häggs Abhandlung Archäologie im Forschungslabor (S. 429-433). Auf Grund der Feststellung, daß „Metallkorrosion eine konservierende Wirkung hat“, entwickelt sie die Mikrostratigraphie eines Totenbretts und kann so die Kleidung der Toten und sogar die Kleidungsfarben rekonstruieren. Vor diesem Hintergrund ist die übliche Praxis der Säuberung korrodierter Fundmünzen zu überdenken. Die Korrosionsschicht könnte wertvolle Angaben über einen etwaigen organischen Fundbehälter liefern!

Endlich soll auch die Tatsache nicht verschwiegen werden, daß die übrigen 59 Beiträge ebenfalls sehr instruktiv und gut leserlich geschrieben sind. Mooropfer, Goten, Wikinger, Bildsteine, Schach u.a. sind einige willkürlich herausgegriffene Themen, die sicherlich von allgemeinem Interesse sind. Nicht unerheblich tragen schließlich auch die Fülle qualitätvoller Abbildungen und die generell hervorragende Ausstattung des Buches zum Lesegenuß bei.

Hendrik Mäkeler