Joseph Shatzmiller: Shylock geht in Revision. Juden, Geldleihe und Gesellschaft im Mittelalter

Joseph Shatzmiller: Shylock geht in Revision. Juden, Geldleihe und Gesellschaft im Mittelalter […], dans: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 96 (2009) 1, pp. 86sq.

 

Critique

Mit seinem 1990 erschienen Werk „Shylock reconsidered. Jews, Moneylending, and Medieval Society“ verhalf Joseph Shatzmiller einem Prozeß vor dem Gericht der Unterstadt von Marseille im Jahr 1317 zu internationaler Beachtung. Bei dem Prozeß ging es um die angebliche doppelte Rückforderung eines am 11. April 1315 gewährten Kredites in Höhe von 60 Sous (= 3 Livre) durch den reichen jüdischen Kaufmann und Geldverleiher Bondavid von Draguignan. Kreditnehmer und Kläger war Laurentius Girardi, der seinen bei ihm wohnhaften Cousin Petrus Guizo als Zeugen anführte. Bondavid dagegen brachte allein 25 Bürger bei, die seine Rechtschaffenheit und Großzügigkeit bezeugten, und weitere acht, deren Aussagen zufolge Petrus Guizo ein „heruntergekommener Gauner“ sei, der in „Gasthäusern und anderen unschicklichen und unehrlichen Lokalen“ verkehre, „mit Alkoholikern und anderen betrügerischen und zwielichtigen Gestalten“ trinke und „sein Gewand im Würfelspiel“ verliere (S. 63). Bondavid selbst habe dagegen selbst nach dem Tod eines Gläubigers dessen Testamentsvollstrecker noch 2.000 Turnosengroschen zurückgezahlt, obgleich der Tote kein schriftliches Dokument über das Geschäft hinterlassen hatte. Immer wieder war zudem von der Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft des Geldverleihers die Rede, mit der er seine Mitbürger unterstützt habe, indem er etwa einer armen Frau den Großteil des von ihr zur Schuldentilgung abgelieferten Geldes schenkte. Das nicht überlieferte Urteil vom Juli 1317 dürfte demgemäß zu Bondavids Gunsten ausgefallen sein.

Shatzmiller ordnete diesen außergewöhnlichen Quellenfund in den weiteren wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Rahmen ein, behandelte dabei nicht zuletzt die zeitgenössische Bewertung der jüdischen Geldleihe sowie den hohen Kreditbedarf in der mittelalterlichen Gesellschaft und stellte insgesamt das Beispiel Bondavids gegen die Figur des erbarmungslosen jüdischen Wucherers, die Shakespeare 1605 mit dem Shylock im „Kaufmann von Venedig“ schuf. Nicht zuletzt wies Shatzmiller auf die Möglichkeit hin, zwischen unterschiedlichen Geldleihern zu wählen, weshalb die jüdischen Geldhändler auf ihren guten Ruf und ihre Ehre bedacht waren, ohne die ihnen ihre Geschäftstätigkeit unmöglich geworden wäre. Auch Bondavids Ehefrau Dulcia war aus diesem Grund bei einem Streit um einen silbernen Gürtel vor Gericht zu gehen gezwungen, wie Shatzmiller zeigen konnte.

Es ist sehr zu begrüßen, daß dieses wichtige Buch nun auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt, die sich auf verschiedene Weise auszeichnet. Zum einen konnte mit Christoph Cluse ein hervorragender Kenner der Materie als Übersetzer gewonnen werden. Zum anderen hat Cluse ein wohlabgewogenes Nachwort und eine Bibliographie zu dem Band beigesteuert, wodurch die nicht selten maßgeblich von Shatzmillers Arbeit angeregten neueren Untersuchungen zum Thema, die in den Jahren 1990 bis 2007 erschienen sind, erschlossen werden. Shatzmiller selbst nutzt das Vorwort der deutschen Ausgabe schließlich, um mit einem Mißverständnis aufzuräumen: Es sei ihm nicht darum gegangen „zu behaupten, dass Geldleiher, seien sie Juden oder andere, von der mittelalterlichen Gesellschaft allesamt und immer geschätzt worden wären. Vielmehr hoffte ich darauf, eine Nuance in das allgemein akzeptierte Bild zu bringen, wonach sie generell auf Ablehnung und sogar Verachtung stießen“ (S. 9). Dies ist eine wesentliche Erkenntnis zur mittelalterlichen Geld- und Wirtschaftsgeschichte, deren weitere Verbreitung durch die deutsche Ausgabe von Shatzmillers Werk zu erhoffen ist.

 Hendrik Mäkeler, Uppsala